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Augmented Reality 2018: Zwischen Formtief und gesellschaftlichem Wandel

Viel Spaß!

Die Frage, ob Virtual Reality oder Augmented Reality sich durchsetzen werden, ist leicht zu beantworten: Für beide Technologien wird es einen großen Markt geben und in ferner Zukunft werden VR und AR sich in einer schmalen Brille treffen und zum permanenten Begleiter der Menschen werden. Bis es soweit ist, ist es jedoch noch ein langer und steiniger Weg. 2018 verspricht jedoch ein heißes AR-Jahr zu werden. Mit dem ARCore 1.0, den vollmundigen Facebook-Versprechungen für die F8 Konferenz, einer möglichen Auslieferung der Magic Leap One und der eventuellen Präsentation einer HoloLens 2 sollte das Jahr voller Überraschungen für Entwickler und Enthusiasten sein. Doch werden wir vielleicht in diesem Jahr schon eine Brille sehen, die bei Konsumenten das Herz höher schlagen lassen wird? Vermutlich nicht.

Warum AR 2018 Konsumenten noch enttäuschen wird

Augmented Reality ist eine wahnsinnig spannende Technologie, doch manchmal trennt Vision und Wirklichkeit mehr, als man glauben mag. Zwar sind wir mit den Visionen ziemlich weit und können AR schon ganz gut mit dem Smartphone nutzen. Doch zu einem wirklichen Alltagsbegleiter wird die AR-Technologie erst, wenn sie allgegenwärtig ist, weil sie immer auf unserer Nase sitzt.

Die technische Seite

Wenn man sich die HoloLens oder Magic Leap One anschaut, könnte man meinen, dass ein kleinerer Formfaktor nur eine Frage der Zeit ist. Doch an dem Punkt, an dem man über drastische Verkleinerungen nachdenken sollte, sind wir noch nicht, da die Brillen selbst beim aktuellen Formfaktor noch keine zufriedenstellenden Ergebnisse liefern. So ist das Field of View der HoloLens extrem klein, die Meta 2 muss an den PC angeschlossen werden und versagt beim Tracking und was die Magic Leap One tatsächlich zu bieten hat, wissen wir noch nicht. In näherer Zukunft wird es wohl zunächst einen Markt für große AR-Brillen mit Tracking geben und auf der anderen Seite für Smartglasses wie die Intel Vaunt, welche lediglich Informationen einblenden, aber dafür schick und schmal sind. Die große Kunst für die Hersteller wird aber darin liegen, ein Produkt zu entwickeln, welches eine unauffällige Form mit geballter Technik besitzt. Doch hier stoßen wir auf technische Hürden.

Kein Schlankheitswahn in Sicht

Selbst wenn wir eine AR-Brille drahtlos mit dem Smartphone befeuern könnten, bedeutet das nicht, dass der Formfaktor plötzlich auf den einer herkömmlichen Brille schrumpfen kann. Gründe hierfür sind das nötige Inside-Out-Tracking und der Akku, der einen solchen Aufbau mit genügend Saft versorgt.

Wie funktioniert das Inside-Out Tracking?

Das Tracking-System der HoloLens verwendet beispielsweise zwei niedrigauflösende Schwarz-Weiß-Kameras, um Merkmale in der Umgebung im sichtbaren Licht zu erkennen. Das System trianguliert seine Position basierend auf den beobachteten Merkmalen und ergänzt diese Informationen mit IMU-Daten (Intertial Measurement Unit), um eine kontinuierliche Positions- und Orientierungsberechnung für das HMD in der Umgebung zu erzeugen.

Zwar schafft Microsoft mit dieser Technologie aktuell das robusteste Inside-Out Tracking, das wir bisher gesehen haben, doch Kameras, Sensoren und Akku benötigen Platz, selbst wenn auf die Verbauung eines PCs in der Brille verzichtet wird.

Die Magic Leap One, welche noch in diesem Jahr in die Hände von Entwickler gelangen soll, nutzt einen Trick, um dieses Problem zu umgehen: Akku und Recheneinheit werden am Gürtel befestigt, wobei der Formfaktor der Brille weiterhin wohl nur etwas für echte Nerds bleibt.

Cloud AI und neuronale Netze

Kürzlich verkündete Microsoft über Twitter, dass die HoloLens zukünftig eine Cloud AI (künstliche Intelligenz) nutzen wird, um die AR-Erfahrung zu verbessern und dem Computer zu helfen, seine Umgebung tatsächlich zu verstehen. Die neue Version der HPU (Holographic Processing Unit) der HoloLens wird einen zusätzlichen AI-Mikroprozessor enthalten, um neuronale Netze effektiv zu nutzen, die bei der Mustererkennung (Pattern Recognition) eingesetzt werden.

Noch in diesem Jahr soll die durch die Cloud befeuerte KI an den Start gehen. Doch das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass dies den Formfaktor nicht beeinflussen wird. Zwar wird die HoloLens durch dieses Verfahren Objekte abgleichen und wiederkennen können, doch die Daten muss die Brille weiterhin besorgen und eine Auswertung der Tracking-Informationen über die Cloud kann durch die entstehende Latenz wohl auch zukünftig nicht funktionieren.

Dennoch könnte die HoloLens auf anderer Ebene von der Cloud profitieren: Sollten sich schnelle Internetverbindungen zu jederzeit an jedem Ort etablieren (Running Gag), könnten auch Renderingprozesse komplett ausgelagert und Inhalte gestreamt werden. Hint: Wird in Deutschland noch etwas dauern.

Warum wir einen Diskurs brauchen

Aktuell werben Facebook, Snapchat, Google, Apple und andere Unternehmen mit AR-Smartphone-Anwendungen, mit denen ihr beispielsweise eurer Gesicht oder die Umgebung mit lustigen Stickern und Objekten schmücken könnt. Je nach Smartphone und Anwendung funktioniert diese Erkennung zwar bereits ziemlich gut, doch AR auf dem Smartphone ist und bleibt ein Gimmick und kein Fortschritt, der die Gesellschaft verändern wird. Anders sieht es aus, wenn sich die Technik doch irgendwann in Brillen integriert lässt, die wir im Alltag tragen können und wollen. An diesem Punkt werden wir uns auch Fragen stellen müssen, die man nicht undiskutiert lassen sollte.

Überwachung 3.0

Wenn die Gesellschaft über Debatten wie Glassholes hinweg ist, bei denen es eher um den Schutz vor peinlichen Aufnahmen und Stalkern geht, könnte es eine breite Akzeptanz für Brillen geben, die in der Lage sind, Räume und Personen zu erkennen und abzugleichen. Theoretisch kann die Wiedererkennung von Personen ein Segen für alle vergesslichen Menschen sein. Doch in den Händen von falschen Kräften kann aus einer solchen Technologie eine gefährliche Waffe werden. Auch in der Gesellschaft ist aktuell ein Widerstand zu spüren, wenn es um die Installation von Kameras an Bahnhöfen geht, die mit einer Technologie für die Gesichtserkennung und Abgleichung von Informationen ausgestattet sind. Diese Debatte könnte aber hinfällig werden, wenn jede Privatperson eine solche Technologie nutzen kann. Während die Bundesregierung sich also versucht, einen Weg für die Überwachung per Kameras zu erkämpfen, wird in wenigen Jahren ein Hype bei Konsumenten vermutlich ohnehin Tür und Tor für eine permanente Abgleichung von Personen öffnen. Tinder AR, Facebook AR? Das ist wohl nur eine Frage der Zeit.

Wenn wir also sagen, dass wir auch über die negativen Folgen von AR-Brillen für Menschen im Alltag diskutieren sollten, meinen wir nicht, dass man Angst vor der Technologie haben muss. Vielmehr geht es darum, frühzeitig ausnutzbare Punkte zu erkennen und hierfür gesetzliche oder technische Regelungen zu finden. Auf der anderen Seite wird es natürlich immer Mittel und Wege geben, diese Hürden zu umgehen, weshalb ein Verbot oder das Ignorieren keine Lösung für die Zukunft darstellen.

Apropos Verbot: Theoretisch kann man sich mit der Nutzung einer solchen Brille als Privatperson auch im öffentlichen Raum (laut § 201a des Strafgesetzbuches) strafbar machen, wenn ihr andere Personen aufzeichnet, was für einen Abgleich von Gesichtsmerkmalen definitiv notwendig ist. Der Abgleich der Aufnahme mit einer Datenbank in der Cloud ist letztlich eine Weitergabe von gezielten Personenaufnahmen an dritte Personen. Dementsprechend muss hier ein gesetzlicher Rahmen geschaffen werden, um die Verwendung zu ermöglichen und dennoch Menschen zu schützen, die nicht getrackt werden wollen.

Wir sind alle super klug!

AR-Brillen können in wenigen Jahre unser Gehirn mit dem Wissen der Welt verbinde. Dies wird die Gesellschaft ähnlich stark verändern wie die Verbreitung des Internets. Alle Menschen haben stets jegliches Wissen präsent und beherrschen beispielsweise jede Sprache, weil die AR-Brille sie unterstützt. Und das ist keine Spinnerei: Intel arbeitet mit den Vaunt Glasses aktuell an einem System, das per künstlicher Intelligenz entscheidet, welche Daten ihr gerade benötigt. Somit wird euch eine AR-Brille zukünftig sogar das Denken vor der Sucheingabe abnehmen und ihr könnt euch vom Datenstrom treiben lassen. Zudem gibt es bereits heute Anwendungen, die euch zum Musiker machen, auch wenn ihr bisher keine Erfahrung mit dem Spielen von Instrumenten hattet, oder euch bei der Arbeit mit Informationen unterstützen. Beispielweise, wenn ihr einen Mars Rover bauen wollt.

Augmented Reality Brillen werden uns also viele Probleme abnehmen und uns im Alltag, bei unseren Hobbys und bei der Arbeit unterstützen. Doch Daten entstehen nicht aus Luft und Liebe und das frühe Engagement von Axel Springer ist auf der einen Seite zwar begrüßenswert für die Akzeptanz der Technologie. Gleichzeitig wirft das Investment jedoch die Frage auf, wer uns zukünftig die Daten bereitstellen wird, die wir an allen Orten sehen werden. Welche App wird dominieren und welcher Konzern steht hinter dieser App? Ständige Layer in der wirklichen Welt haben einen anderen Einfluss auf uns als eine Zeitung, die am Kiosk liegt. Dementsprechend würde ein AR-Informationsmonopol gefährliche Konsequenzen nach sich ziehen, welche den derzeitigen Einfluss von Facebook und Google rückblickend lächerlich wirken lassen könnten.

Fazit: AR ist technisch und gesellschaftlich unausgereift

Wann die gesellschaftliche Durchdringung mit AR-Brillen stattfindet, hängt nicht nur von der Technologie ab, sondern auch vom gesellschaftlichen Diskurs. Bei aller Freude über die neue Technologie, viele Fragen sind noch ungeklärt. Aktuell befinden wir uns noch im Experimentierstadium, in dem wir Grenzen ausloten können und müssen und diese in einem geeigneten Rahmen diskutieren sollten. Die Zukunft wird definitiv spannend, auch wenn wir in diesem Leben vielleicht keine direkte Schnittstelle mit unseren Gehirn erleben werden.

Anmerkung:

Bei all den Fragen, die sich mit beim Verfassen des Artikel stellten, mindert sich nicht meine Lust und Vorfreude auf eine voll vernetzte Welt mit weniger Barrieren auf allen Ebenen. Ich bin sehr gespannt darauf, wohin die Reise geht und freue mich schon auf dem Tag, an dem ich endlich die Magic Leap One oder HoloLens 2 aus dem Paket reißen kann. Bis dahin: AR-Nerdige Grüße