Das Arbeitszimmer des Professors sieht nicht aus wie der Schauplatz eines Mordes. Alles wirkt aufgeräumt und klar strukturiert. Die einzigen beiden Dinge, die die beschauliche Atmosphäre stören, sind die japanischen Masken an der Wand und die Kreidezeichnung auf dem Boden. Hier fand man den Leichnam. Ich untersuche das Zimmer sorgfältig, finde einige alte Aufzeichnungen des Professors und einen mysteriösen Hinweis. „Das X markiert den Punkt“. Tatsächlich markiert ein X auf der großen Karte an der Wand Japan – hat das etwas mit den Masken und der Geschichte über die Schneefrau zu tun? Vielleicht sogar mit dem Mord? Der Professor soll erfroren sein. In seinem Arbeitszimmer. Im Sommer. Irgendetwas stimmt hier nicht.
Dead Secret
In „Dead Secret“ vom Studio Robot Invader schlüpft der Spieler in die Rolle einer Journalistin. In ihrer Haut sollen wir einen mysteriösen Mordfall aufklären, um endlich die Story zu landen, welche uns berühmt macht. Von Anfang an gibt es vier Verdächtige: Die Assistentin des Professors, den Hausjungen, die Ex-Frau und einen Studienkollegen. Ob und wenn ja, wer von ihnen Professor Bullard umgebracht hat, gilt es mit detektivischem Gespür herauszufinden.
Grafik und Mechanik des Point and Click Adventures
Die Grafik von Dead Secret ist dabei nicht übermäßig hübsch, sondern eher zweckmäßig. Da jedoch das ganze Spiel seinen eigenen Stil durchhält und man schnell in Spielmechanik und Story abtaucht, stören die grafischen Unzulänglichkeiten schon nach kurzer Zeit nicht mehr.
Gleich zu Beginn des Spiels stehen uns nur zwei Räume offen: Die Eingangshalle und das Arbeitszimmer des Professors. Erst nach und nach schalten wir durch Knobeleien den Zugang zu weiteren Passagen im Spiel frei: Wir finden Schlüssel, suchen Geheimtüren und knacken Zahlenrätsel. Schnell wird klar, dass hinter dem Mord mehr steckt als zuerst vermutet.
Im Spiel selbst laufen wir jedoch nicht frei im Haus herum, sondern bewegen uns vielmehr auf Schienen zu interessanten Objekten und können uns von unserem Standpunkt aus umsehen und mit der Umwelt interagieren. Das wirkt zuerst seltsam und stört auf den ersten Blick die Immersion, die Entwickler haben sich jedoch dabei etwas gedacht: Diese Art und Weise das Spiel zu spielen, sorgt nicht nur für einen hohen Komfort, sondern bringt auch eine gewisse Ruhe in das Geschehen. Wir haben Zeit uns alles genau anzusehen und uns umzublicken. Sowieso empfiehlt es sich Dead Secret im Stehen oder auf einem Drehstuhl sitzend zu spielen. So ist es möglich sich stets komplett in den einzelnen Zimmern umsehen zu können, um nichts zu verpassen.
Rätsel und Atmosphäre
Ich setze die Drehscheibe in die Vertiefung der Truhe und verschiebe die Messingplatten, so dass sie ein Muster ergeben. Geschafft! Die Truhe springt auf und offenbart mit bereitwillig ihr Innerstes. Schnell nehme ich alles an mich und verlasse das Zimmer. Kaum auf dem Treppenabsatz angekommen sackt mir das Herz in die Hose. Am Fußende der Treppe steht ein Mann im Regenmantel und ist mit einer ausdruckslosen, weißen Maske verhüllt. Die leeren Augen starren mich an, ehe er die erste Stufe nimmt. Adrenalin schießt durch meinen Körper: Kampf ist mit einem Arm in der Schlinge keine Option, ich muss fliehen. Aber wohin? Zurück ins Zimmer oder die Tür links neben mir? Und dann? Unters Bett? In den Schrank? Kalter Schweiß bricht in mir aus, während der Unbekannte schon die Hälfte der Strecke zurück gelegt hat. Ich muss mich jetzt entscheiden.
Rätsel wie jene mit der Truhe dominieren in Dead Secret. Wir finden ein Objekt und müssen dieses dann mit einem anderen Objekt verbinden. Ab und an braucht es noch ein wenig Kombinationsgeschick. So müssen wir beispielsweise eine chemische Formel zur Entfernung von Rost zusammenmischen. Dummerweise sind die Behälter jedoch nicht beschriftet. Diese Momente sind eindeutig die Stärke des Spiels – wir haben viel Zeit uns umzuschauen, zu kombinieren und uns so Schritt für Schritt weiter durch das Haus zu bewegen.
Dagegen stehen die immer wieder kurz auftauchenden Jagdsequenzen mit dem Maskenmann.
Ein Wermutstropfen
Während uns die erste, unvermittelte Begegnung noch wie ein kleines Mädchen kreischen lässt und uns die Bedrohung dieser ruhigen, selbstsicheren Präsenz dank starker Immersion den Schweiß ins Gesicht treibt, endet diese Bedrohung sofort wenn wir uns nicht direkt für das richtige Versteck entscheiden. Zwar ist es löblich, dass wir zwischen verschiedenen Verstecken auswählen können, dabei gilt jedoch nur eines als „das Richtige“. Bei allen anderen Versuchen sterben wir und müssen die Sequenz sooft wiederholen, bis wir aus Zufall die richtige Lösung finden. Hier verspielt das Spiel viel Glaubwürdigkeit und verkommt zum nervigen Trial and Error. Glücklicherweise finden jedoch nur wenige solche Begegnungen im Spiel statt.
Was zur Hölle geht hier vor?
Ich weiß nicht mehr weiter. Ich scheine in einer Sackgasse gelandet zu sein. Ich habe alles ausprobiert, mit die wildesten Verkettungen von Umständen ausgedacht, aber nichts hat geholfen. Mir fehlt einfach ein Teil des Puzzles. Ich schaue noch einmal in mein Inventar – habe ich nicht diese seltsame Affenmaske? Kaum habe ich sie aufgesetzt wirkt die Welt wie ein Negativ ihrer selbst. Mich beschleicht ein ungutes Gefühl und langsam, ganz langsam, drehe ich mich um. Ich unterdrücke einen Aufschrei – auf dem Sofa hinter mit sitzt ein Mann mit Teufelsmaske. Ich reiße mit die Maske vom Gesicht und alles wirkt wieder normal. Kein Mann, keine Teufelsfratze. Als wäre nichts gewesen. Aber… hat er nicht auf etwas gedeutet?
Wenngleich Dead Secret vor allem auf das Erkunden und Kombinieren als Spielprinzip setzt, so spürt man doch die ganze Zeit über den diffusen Unterton des Übernatürlichen und des Horrors. Dabei ist Dead Secret kein reinrassiges Horrorspiel, welches euch einen Jumpscare nach dem Anderen entgegen wirft. Vielmehr ist es die Spannung sich in dem kleinen Haus auf engstem Raum zu bewegen, die den Puls nach oben treibt.
Relativ schnell vergessen wir, dass wir in Wahrheit sicher und nur in einer virtuellen Realität der Gefahr ausgesetzt sind. Das ständige Gefühl beobachtet zu werden paart sich mit den Erkenntnissen, die wir im Laufe des Spiels machen und entwickelt eine Sogwirkung, dank derer wir das Spiel an nur zwei Abenden durchgespielt haben und nicht aufhören konnten, ehe wir wussten wer der Mörder war und welche Geheimnisse die Figuren in diesem Spiel noch offenbaren.
Wiederspielwert
Alles in allem waren wir zwischen vier und fünf Stunden damit beschäftigt das Geheimnis rund um den Tod des Professors zu lüften. Dank vieler Sammelinhalte und unterschiedlichen Enden lohnt sich auch ein erneutes Durchspielen, wenngleich die Rätsel in diesem Fall die gleichen bleiben. Für 15 Euro hatte ich schon lange keinen solchen Spaß mehr.