Einleitung
Ein ungetrübter Blick in die Zukunft der Virtual Reality fällt den meisten von uns unglaublich schwer. Zu sehr brennt das Feuer der Hoffnung in uns, der Enthusiasmus ist nicht nur ungebrochen, sondern steigt zeitgleich mit der Weiterentwicklung noch an. Dennoch will ich in diesem Artikel versuchen aus nüchterner und objektiver Sicht einen kleinen Ausblick zu geben. Sollten einige der folgenden Zeilen zynisch klingen, so mag man mir dies verzeihen.
Es ist nicht meine Intention das Bild einer dystopischen Zukunft in etwa fünfzig Jahren zu entwerfen. Alle von mir gebrachten Thesen basieren auf Fakten und bereits Geschehenem und ich will versuchen all meine Behauptungen so gut es geht zu belegen. Aber genug der Vorworte, fangen wir an:
Die Medien
Bisher berichten die großen Medienhäuser noch recht verhalten über die verschiedenen Virtual Reality Brillen und Anwendungen. Das mag nicht weiter verwundern, sind doch Videospiele im Allgemeinen eher selten Fokus von „Spiegel“, „Zeit“ oder „Die Welt“. Doch der Blick der „Kollegen vom Blatt“ wird sich in einigen wenigen Jahren geradezu auf dieses Thema brennen. Und auch RTL wird wieder seine große Chance auf ein wenig Effekthascherei wittern. Der Grund wird ebenso bitter wie einfach sein – das große Suchtpotenzial, welches die Oculus bietet. Wenn in Taiwan im Jahr 2012 ein 18-jähriger nach vierzig Stunden Diablo-3 spielen tot zusammen sackt, dann könnte es auch geschehen, dass irgendwo ein armer Mensch so tief in die virtuelle Welt abtaucht, dass er vergisst zu essen oder zu trinken und schließlich vor Erschöpfung stirbt. Diese Möglichkeit ist dabei leider kein Blindschuss, sondern die traurige Realität – in China sterben häufig Menschen während sie Computerspiele spielen.
Meiner Meinung nach ist dies keine Frage ob es geschieht, sondern vielmehr wann. Für nicht unwahrscheinlich halte ich es ebenfalls, dass jemand tatsächlich an den Auswirkungen der Oculus Rift stirbt – irgendwann wird der Fall eintreten, dass eine Person mit Herzproblemen während eines Horror-Spiels einen Herzinfarkt erleidet. Dies wären traurige Einzelbeispiele, welche nichts mit Virtual Reality zu tun haben müssen. Ob jemand bei einer Runde Diablo 3 oder während eines Virtual Reality Trips keine Nahrung zu sich nimmt ist gänzlich ohne Bedeutung. Ob jemand mit schwachem Herz aufgrund der Oculus Rift oder vielleicht einige Tage später aus dem Nichts einen Herzinfarkt erleiden würde, wird für die Medien keine Rolle spielen.
Es wird über die Gefahr berichtet werden, welche von der Virtual Reality ausgeht. Ähnlich wie bei der „Killerspieldebatte“ werden wir Videospielenthusiasten, wir „Nerds“ und „Gamer“ mit einem Mal an den Pranger gestellt und es wird quasi von uns verlangt uns zu verteidigen. Dabei müssen wir damit rechnen, dass selbst völlig haltlose Behauptungen aufgestellt werden. Dies war auch schon während der Killerspieldebatte der Fall:
“Großmütter mit Kinderwagen und Schulmädchen bringen Extrapunkte im PC-Spiel Counterstrike.”
– Hamburger Allgemeine, zitiert nach Gamestar 7/2002 S.60
Es wird Sondersendungen und Diskussionsrunden geben, in denen angebliche und einige wenige echte Experten auftreten werden. Auch Politiker werden sich in diese Diskussion einklinken, selbst wenn sie selber niemals auch nur ein VR Headset auf dem Kopf hatten. Es wird ein Feindbild geschaffen werden – und das aus dem einfachen Grund, dass Feindbilder Quote generieren. Wir werden bei „Mitten im Leben“ Geschichten über Jugendliche sehen „dürfen“, die sich dank der Oculus Rift von all ihren Freunden distanzieren und die, kaum dass man das Gerät beseitigt hat wieder ein gesellschaftlich anerkanntes Leben führen können.
Die Gesellschaft
Womit wir auch schon beim nächsten Thema wären – die Gesellschaft. Menschen, die sich nicht näher mit dem Thema beschäftigt haben und deren Meinung von deutschen Medien geprägt wird, werden unser Hobby als höchst Zweifelhaft ansehen. Wer in virtuelle Welten „flüchtet“ kann ja schließlich kaum ganz „richtig im Kopf sein“. Natürlich muss man nichts auf diese Meinungen geben und dennoch wird ein gewisses Stigma bleiben, welches uns anhaftet und uns begleitet. Sei es bei gesellschaftlichen Ereignissen, in unserem Beruf oder bei Bekannten. Ich möchte gar nicht absprechen, dass man Andere durchaus davon überzeugen kann, dass die Virtual Reality nicht so schlecht ist wie ihr Ruf, wenn sich die Anderen denn erst darauf einlassen – und da liegt der Knackpunkt.
Um eines von Anfang an klar zu stellen: Wir dürfen nicht in ein Denkmuster von „Wir“ und „Die Anderen“ verfallen, da so diese Diskussion zum Scheitern verurteilt ist. Im Grunde dreht sich diese Diskussion nicht einmal um Virtual Reality. In Wahrheit geht es um die Angst vor neuen Technologien und dem Drang der Menschen ein Feindbild zu besitzen. Intels Futurist Brian David Johnson erklärt: „People are frightened about things that they don’t have a lot of information about.“ Johnson hat einige Forschungen zu diesem Thema betrieben und hat kulturelle Muster erkannt, die unser Verhältnis zu neuen Technologien kennzeichnen.
- Es wird uns alle umbringen! Stufe eins beschreibt die erste Reaktion und ein frühes Bewusstsein für wissenschaftliche oder technologische Forschungsergebnisse. Von den Medien aufgegriffen, erscheinen frühzeitig Artikel mit schmissigen Schlagzeilen aber wenig Substanz. Die im Entstehen begriffene technologische Innovation lässt sich in wenigen Worten in eine globale Dystopie überführen. Den Menschen wird kein Kontext geboten, um tiefgreifende Potentiale zu erkennen. Stattdessen eröffnet sich ihnen oft ein von Science Fiction geprägtes Weltuntergangsszenario.
- Sie nimmt mir meine Tochter! Stufe zwei ist die Reaktion auf den außerordentlichen Erfolg der Technologie nach seiner Markteinführung. Viele junge Menschen haben sich ihrer angenommen, wodurch die Technologie auch auf die Popkultur einwirkt. Eine moralische Panik wird geschürt und Eltern fragen sich zunehmend, ob ihre Kinder es verlernen, „normal“ zu sein. Noch ist der Umgang für den Großteil der Gesellschaft ungewohnt, doch die Technologie färbt bereits auf die Dinge und Routinen ab, welche die Menschen lieb gewonnen haben und pflegen wollen
- Das werde ich nie benutzen! Stufe drei tritt ein, sobald die Early Adopter mit der Technologie auf ihre Mitmenschen einwirken und deren Vorbehalte schrittweise ins Positive umschlagen. Das Weihnachtsgeschenk der Enkel wird eben doch irgendwann ausprobiert und wertgeschätzt. Die nützlichen und spaßigen Aspekte treten in den Vordergrund und die realen Ängste, dass uns die Technologie überholt und wir ohne sie nicht mehr funktionieren würden, verblassen.
- Was meinst du damit? In Stufe vier ist die Technologie alltäglich geworden und damit fester Bestandteil unseres Alltagslebens sowie unserer Kulturgeschichte. Frühere Berührungsängste spielen keine Rolle mehr und werden sogar abgestritten. Dies ist der größte Erfolg jeder Technologieentwicklung.
Hier ein weiterführender Link zu diesem Thema.
Wir können somit hoffen, dass auch Virtual Reality nach langer Zeit den dritten und vierten Schritt dieses Musters erreicht. Doch selbst wenn all dies eintritt, gibt es dennoch zwei weitere, wichtige Aspekte – die Sucht und anderweitige Nutzungen.
Die Sucht
Wie bereits zu Anfang erwähnt bieten die Möglichkeiten der virtuellen Realität ein ungeahntes Suchtpotential. Menschen mit wenig sozialer Bindung, Männer und Frauen die unglücklich oder in ihrem Leben unzufrieden sind. Außenseiter und andere Typen, die eigentliche Liebe, Zuneigung und Verständnis benötigen werden sich in diese unechte Realität flüchten. Sie werden der sein können, der sie sein wollen. Dabei ist die virtuelle Realität nicht der Auslöser. Menschen, die zu Suchtverhalten neigen werden immer etwas finden um sich von dieser Welt abzukapseln. Sei es, dass sie Drogen konsumieren, sei es Musik oder Videospiele. Wichtig wird sein, dass die Gesellschaft auf dieses Thema vorbereitet ist um solchen Menschen ähnlich wie Glücksspielsüchtigen zu helfen. Doch leider ist die Gefahr einer Abschottung und Stigmatisierung solcher Personen durch die Gesellschaft groß.
Anderweitige Nutzung
Wie bereits von Yigal in einem anderen Beitrag auf unserer Seite erläutert bietet die virtuelle Realität auch außerhalb von Videospielen Anwendungsmöglichkeiten. Sei es im Gewerbe der Erwachsenenunterhaltung, oder militärische Nutzungen: Die virtuelle Realität mag momentan von Enthusiasten und Videospielern vorangetrieben werden. Aber Facebook hat nicht umsonst Oculus VR aufgekauft. Es werden multimediale Anwendungen folgen, welche ebenso suchtfördernd sein werden, wie die Möglichkeit in andere Welten einzutauchen. Die Menschen werde sich ihre persönliche, perfekte Vision vom eigenen “Ich” erstellen, mit welcher das reale “Ich” niemals mithalten kann. Noch mag uns nicht ganz klar sein welche Möglichkeiten sich Facebook durch die Oculus bietet, allerdings ist es wahrscheinlich, dass es die narzistische und verfärbte Selbstdarstellung fördern und noch weitaus stärker auf die reale Persönlichkeit hinter dem Profil projizieren kann. Auch das Militär wird mit Sicherheit baldiges Interesse an solcher Technologie bekunden. Man denke nur an die Möglichkeit der Drohnensteuerung, oder vielleicht sogar ganzer Soldaten wie in dem Film „Surrogates“ sofern denn auch die richtigen Eingabemöglichkeiten vorhanden sind, aber selbst daran wird ja zur Zeit geforscht . All dies mag unserer geliebten VR die Unschuld rauben, allerdings müssen wir auf diese Entwicklung gefasst sein.
Fazit
Ein abschließendes Fazit zu fällen ist in dieser Hinsicht und unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte natürlich schwierig. Wir können letzten Endes nur hoffen, dass die Anerkennung der VR kein langer und kräftezehrender Kampf wird. Dafür stecken zu viele tolle Möglichkeiten in dieser Technologie – man denke nur an Edutainment. Möglicherweise und mit viel Glück hilft uns auch bereits die mittlerweile abgeflaute und überstandene “Killerspieldebatte”. Medien wie der “Spiegel” haben nicht nur eine eigene Rubrik, in welcher Spiele getestet werden, sie setzen sich sogar mit den positiven Aspekten von Videospielen auseinander. Letzten Endes erwartet uns eine spannende Reise, welcher wir hoffentlich nicht all zu blauäugig begegnen werden, wenngleich ich mich auch freue den langen und steinigen Weg zu gehen – wohin er uns auch führen mag.