Wir von VR Nerds haben uns mit Thomas Hoger, welcher für Business & Product Development bei der Darmstädter Firma 3spin verantwortlich ist, getroffen. 3spin ist eine Agentur, welche zusammen mit Firmen wie Lufthansa, Lego oder Mercedes-Benz neue digitale Produkte entwickelt. Im Rahmen ihrer Arbeit mit der Lufthansa haben sie ein Virtual-Reality-Messeevent geschaffen. Im Interview konnten wir den Produktionsaufwand sowie die Chancen von VR im Marketing begutachten.
Hinweis: VR Nerds Virtual Reality Solutions betreibt mit vrnerds.biz eine ähnliche Agentur. Der Autor ist nicht bei vrnerds.biz angestellt und arbeitet nur nach objektiven, journalistischen Maßstäben.
3spin Interview
VR Nerds: Hallo Thomas, stell dich doch einmal kurz unseren Lesern vor.
Thomas Hoger: Ich bin bei 3spin zuständig für Business & Product Development. Das heißt, ich schaue was der Markt hergibt und was unsere Kunden damit anstellen können. Oder welchen Einfluss Technologien auf die Branche und das Marketing haben. Das ist unser Job: Wir entwickeln bei 3spin digitale Produkte, welche einen langfristigen Mehrwert für die Unternehmen haben.
VR Nerds: Ihr arbeitet ja auch mit der Lufthansa zusammen – hier vor allem VR spezifisch. Seit wann arbeitet ihr mit VR?
Thomas Hoger: Wir arbeiten als 3spin schon länger mit VR. Ich persönlich beschäftige mich mit dem Thema auch schon seit Jahren. Ich habe auch damals schon das DK1 bestellt. Konkret mit der Lufthansa arbeiten wir seit über einem Jahr beim Thema VR zusammen. Da gibt es auch einiges, was man bisher noch nicht gesehen hat.
VR Nerds: Welchen Auftrag habt ihr für die Lufthansa erfüllt?
Thomas Hoger: Es gibt vieles, wenn auch einiges noch nicht öffentlich sichtbar ist. Manche Dinge nimmt man aber auch als Konsument noch nicht so war. Fakt ist, dass viele Unternehmen das Problem haben, dass sie Produkte vertreiben, die man nicht an jedem beliebigen Ort der Welt mal eben in die Hand nehmen kann. Den Service in einem Flugzeug zu erleben zum Beispiel. Um das wirklich erleben zu können, muss ich eigentlich im Flugzeug sein. Denn im Service unterscheiden sich die Airlines – Flugzeuge hat jeder. Und um das unterscheiden zu können braucht man irgendeine Möglichkeit, dies auf einer Veranstaltung zu machen. Und da kommt VR ins Spiel. Das ist der Knackpunkt: Wie kann ich den Service überall erleben? Unsere Lösung war dieses Erlebnis mit Hilfe von VR Brillen auf der ITB in Berlin greifbar zu machen.
“Auf so manche Branche hat VR größeren Einfluss als das Erscheinen des Smartphones”
VR Nerds: Das habt ihr mit einem 360° Video gelöst. Welche Probleme sind denn bei der Produktion auf euch zugekommen? So viele 360° Kameras gibt es noch nicht, es gibt auch noch keinen einheitlichen Standard. Wie seid ihr vorgegangen?
Thomas Hoger: Man muss vorneweg noch sagen, dass wir diese Videos im Flugzeug bereits Anfang des Jahres gedreht haben. In VR-Sprache ist das ein ganzes Zeitalter: Acht Monate sind seither vergangen, es hat sich seitdem unheimlich viel getan. Damals gab es noch keine Ankündigung von Nokia, man wusste noch nicht wie die Endversion der Rift aussieht oder gar, dass es Controller geben wird. Unheimlich viel war unklar und es gab noch keine einzige, frei erhältliche VR Kamera. Uns war es wichtig, dass wir nicht ein Flugzeug in 3D nachbauen, sondern dass wir einen Film mit echten Flugbegleitern drehen, um dies erlebbar zu machen. Aber die Produktionsweise, die wir gewählt haben ist auch heute noch üblich bei VR Filmen. Wir haben mit GoPro Kameras und einem 3D gedruckten Halter gedreht.
Aber das Kamerasystem war überhaupt nicht das Entscheidende, es gab ganz andere Herausforderungen. Vor allem die Enge hat uns vor Probleme gestellt – denn auch wenn man in der Business Class als Fluggast unheimlich viel Platz hat, sieht es produktionstechnisch kompliziert aus.
VR Nerds: Ja, es gilt halt relativ viel Technik auf relativ engem Raum unterzubringen.
Thomas Hoger: Ja genau! Außerdem gibt es ja noch das Parallax-Problem. Und da sich im Flugzeug überall etwas bewegt und nah an der Kamera ist, hat man natürlich die Herausforderung das Problem zu umgehen. Dazu kommt, dass wir im Gegensatz zum Outdoor–Einsatz keine natürliche Beleuchtung haben. Und bei VR–Filmen könnte man den Scheinwerfer sehen, wenn man sich umdreht. Man muss die ganze Beleuchtung anders stattfinden lassen – von außen beleuchtet mit einem Kran etc. Außerdem muss man noch zahlreiche Sicherheitsbestimmungen beachten.
Besonders ist vor allem, dass VR–Storytelling ganz anders funktioniert als wir das bisher gewohnt sind, man darf nicht mit einem vorgefertigten 2D-Film–Mindset da ran gehen.
VR Nerds: Man kann den Konsumenten ja nicht dazu zwingen dort hin zu schauen, wo die Aktion stattfindet.
Thomas Hoger: Man muss es auf jeden Fall eleganter machen, den Zuschauer quasi freundlich dazu auffordern ohne dass es plump wirkt. Natürlich kann ich auch einen VR Film wie einen 2D Film behandeln und alles nur direkt vor mit stattfinden lassen, aber wo ist dann der Mehrwert? Wenn wir mal ein wenig in die Zukunft denken – einer der größten Treiber für VR werden auf jeden Fall Feature Filme sein. Für sowas werden sich viele Leute eine VR Brille nach Hause holen. Man stelle sich nur mal vor, man stünde in Fluch der Karibik auf dem Deck der Black Pearl und egal wo man hinsieht kämpfen die Helden und Feinde gegeneinander. Das ist ein unglaublich beeindruckendes Erlebnis. Um das verstehen zu können, muss man mal ein VR-Video gesehen haben. Natürlich kann ich das nicht immer auf 360° stattfinden lassen – ich will auf der Couch nicht ständig hinter mich schauen und mir den Hals verrenken. Aber man kann auf 180° viel passieren lassen. Die Haupthandlung liegt vor mir, aber Nebenhandlung etc. geschieht im peripheren Sichtfeld. Und das hat uns auch bei der Lufthansa beschäftigt – denn wenn ein Fluggast neben mir bedient wird soll ich auch dorthin schauen. Wir hatten für das Video ein voll besetztes Flugzeug mit echten Flugbegleitern und wenn man auch mal hinter sich geschaut hat, konnte man auch kleine Handlungen sehen. Da hat zum Beispiel mal jemand mit einem Glas Wein angestoßen und so weiter.
Die Herausforderung bei VR–Filmen ist also die Frage: Wie lenkt man Blicke?
VR Nerds: Und was habt ihr da heraus gefunden, wie können Blicke am besten gelenkt werden?
Thomas Hoger: Ganz entscheidend ist hier der Ton. Wenn ich nur jemandem ein VR-HMD aufsetze und er hat keinen Surround-Sound wird dies schwierig.
VR Nerds: Das dürfte bei der Oculus Rift ja kein Problem darstellen, die CV1 wird ja bereits integrierte Kopfhörer mit 3D-Stereo besitzen.
Thomas Hoger: Wenn ich in einer Richtung nichts mehr höre, und dann aus einer anderen Richtung persönlich angesprochen werde, ruft dies automatisch eine Reaktion von mir hervor. Das zieht Leute dermaßen in diese Welt, dass sie beispielsweise ganz selbstverständlich mit ihrem Controller mit einer anderen Person im Video angestoßen haben [Anm. d. Red.: zusätzlich zum Film wurden einige 3D Objekte gerendert, welche mit einem PS Move Controller bewegt werden konnten].
Ein zweiter Faktor neben Sound ist Bewegung im peripheren Sichtfeld, diese Bewegungen nehme ich auch unterbewusst wahr und damit kann der Blick gelenkt werden, wie beispielsweise ein Pilot, welcher durch den Gang schreitet.
“VR is here to stay”
VR Nerds: Alles in allem hört sich das aber nach einem riesigen Aufwand an. Ist die Arbeit wirklich so viel schwieriger, oder kann man jetzt, nachdem man Erfahrung gesammelt hat das ganze einfacher reproduzieren?
Thomas Hoger: Es erfordert glaube ich vor allem eine andere Denkweise. Auch bei 2D-Produktionen gibt es einen hohen Aufwand und in der Postproduction gibt sich das nicht viel.
Eine Ausnahme ist aber der Regisseur – denn vor allem bei VR muss ich mir genau überlegen was ich wie zeigen will? Ich weiß ja nicht im vornherein wo der Proband hinsehen wird. Und wie behalte ich bei der Produktion des Filmes den Überblick, wenn in einer 360° Szene 30 Schauspieler unterschiedliche Handlungen zeitgleich durchführen? Ich brauche während der Film gedreht wird mehrere Assistenten, die alle für eine Kamera zuständig sind. Die Produktion ist aufwändig, vor allem aber brauche ich eine andere Denkweise.
VR Nerds: Doch abgesehen von der Produktion, ist am Ende ja nur wichtig wie der Konsument denkt: Wie kam denn diese Marketingstrategie bei den Messebesuchern an?
Thomas Hoger: Ich glaube für die meisten war es sehr beeindruckend. Vor allem auf einer Messe wie der ITB hat ein Großteil der Besucher noch nie ein VR-Headset aufgehabt. Die Leute waren absolut fasziniert. Wir haben VR ja auch nicht nur um der Technik willen gemacht, sondern auch versucht das kreativ anzugehen um beispielsweise Gegenstände aus der virtuellen Welt im Nachhinein in der realen Welt erscheinen zu lassen. Nach dem Flug lagen die Nutzer erst einmal in San Francisco am Strand und hatte eine Postkarte virtuell in der Hand und bekamen dann, nachdem man das Headset abgenommen hatte von dem Flugbeleiter, welcher zuvor im Film das Essen serviert hatte die gleiche Karte noch einmal in real überreicht. Das ist schon ein Mindflash. Mein Lieblingszitat bisher war: „OMG, what’s happening? You‘ re messing with my head“. Es war auch zeitlich so abgemessen, dass die meisten Leute gesagt haben, sie wären gerne länger am Strand gewesen.
VR Nerds: Wenn du das so sagst, glaubst du es könnten sich in nächster Zeit auch mehrere große Firmen für solche Anwendungen interessieren? Mercedes zum Beispiel, die zu einer virtuellen Probefahrt einladen?
Thomas Hoger:[lacht] Du kennst ja unsere Kundenliste. Wir arbeiten mit vielen Unternehmen zusammen und viele haben das Thema VR auch auf dem Schirm. Vor allem die Reise- und Tourismusbranche hat daran großes Interesse. Wir werden in den nächsten Monaten auf jeden Fall noch einiges sehen.
VR Nerds: Was glaubst du, welchen Stellenwert wird VR in Marketing und PR einnehmen?
Thomas Hoger: Es gibt verschiedene Studien zum Thema VR, welche auch von echten Branchengrößen erhoben wurden. Ich habe natürlich auch meine persönliche Meinung: VR wird nicht verschwinden. Aber wie gesagt es gibt viele Studien, zum Beispiel von Amadeus speziell im Reisebereich – und da orientieren sich Investoren dran. Deswegen werden in diese Technologien mittlerweile Millionen und Milliarden investiert. VR is here to stay.
Auf so manche Branche hat VR größeren Einfluss als das Erscheinen des Smartphones. Virtual Reality stellt aus meiner Sicht eine ganz neue Plattform da, welche uns ergänzend neben Fernseher, Radio und Internet begleiten wird. Momentan haben wir sehr viele Informationskanäle – aber VR ist der ultimative Inspirationskanal. Es gibt da einen schönen Satz in der Reisebranche: Try before you fly. Das wird zum Standard werden, es ist einfach die nächste logische Weiterentwicklung: Von Prospekten über Internet, dann Google Earth, Streetview und jetzt in VR.
VR Nerds: Jetzt mal unter uns, habt ihr noch ein VR Projekt im Feuer?
Thomas Hoger: [lacht] Unter uns? Du hast doch noch das Gerät am Laufen [Er deutet auf das Memo-Gerät]
VR Nerds: Unter uns, was du offen sagen darfst.
Thomas Hoger: Wir sind All In. VR ist ein ganz großer Bereich für uns geworden. Wir sehen uns nicht als Agentur sondern sind ein Unternehmen, welches mit anderen Unternehmen digitale Strategien und Produkte erarbeitet. Wir setzen hier auf Innovation, das ist auch wieder so ein abgedroschenes Wort, aber wir leben es wirklich. Wir haben ja zum Beispiel den Labs-Day, wo alle sechs Wochen jeder Mitarbeiter einen Tag frei bekommt, um mit den neusten Technologien herum experimentieren zu können. Und VR ist eine dieser Technologien.
Ich würde sogar soweit gehen zu sagen, dass wir in diesem Bereich in Deutschland, wenn nicht sogar weltweit zu den führenden Unternehmen gehören.
VR Nerds: Danke für das Gespräch, wir bleiben gespannt.
Bilder: 3spin